In der Welt der Immobilienbewertung gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die den Marktwert eines Objekts beeinflussen. Einer dieser oft übersehenen, aber dennoch relevanten Aspekte ist der sogenannte merkantile Minderwert. Doch was genau steckt hinter diesem Begriff, wie wird er berechnet und warum spielt er in der Immobilienbewertung eine Rolle?
Was versteht man unter dem “merkantilen Minderwert”?
Der Ausgangspunkt dafür ist das Phänomen, wonach eine einmal beschädigte Sache (Immobilie) trotz des mittlerweile durch Reparatur wieder hergestellten, technische einwandfreien Zustands, einen geringeren Preis am Markt erzielt, als eine bisher „unbeschädigte“ Sache (Immobilie). Der merkantile Minderwert bezeichnet also den Wertverlust einer Immobilie, der aufgrund von spezifischen, untypischen Mängeln oder Nachteilen entsteht, die den Immobilienwert im Vergleich zu einem idealen Zustand mindern.
Die Rechtsprechung (in Österreich) spricht von einer „gefühlsmäßigen Abneigung des Käuferpublikums gegen reparierte Sachen“. Es geht also um das „Unbehagen des Käufers“, das den Markt beeinflusst.
Es muss aber nicht immer ein gravierender Schaden an der Substanz der Immobilie vorliegen, wie folgendes Beispiel zeigt:
In einer Wohnung wurde jemand erstochen, die Leiche erst nach ein paar Tagen in einer Blutlache liegend gefunden. Auf Grund der Berichterstattung in den Medien weiß jeder Interessierte, wo sich die Wohnung befindet. Die gesamte Wohnung wurde mit Spezialmitteln gereinigt und steht nun zum Verkauf. Würden Sie diese Wohnung kaufen und wenn ja, würden Sie einen geringeren Kaufpreis dafür zahlen im Vergleich zur selben Wohnung, ohne „Mordhintergrund“?
Wie errechnet sich ein merkantiler Minderwert?
Wie bereits ausgeführt, handelt es sich um einen subjektiven, psychologischen Wert. Die Höhe des merkantilen Minderwerts bestimmt sich nach dem Maß der Abneigung gegen den Erwerb, worin daher auch das grundlegende Problem besteht: wie soll ein irrationaler Wert mit nachvollziehbaren Mitteln beschreiben und vor allem monetär bewertet werden?
Dis vorausgeschickt kann die Ermittlung des merkantilen Minderwerts nicht nach einer festen Formel erfolgen, sondern ist eine Schätzung des Gutachters. Es gibt kein umfassend anerkanntes Rechenverfahren zur Ermittlung des merkantilen Minderwerts einer Immobilie. Folgende Möglichkeiten können dafür in Betracht kommen:
- Vergleichswertverfahren: Hierbei wird die Immobilie mit ähnlichen Objekten verglichen, die ähnliche Nachteile aufweisen. Der merkantile Minderwert ergibt sich aus dem Unterschied zwischen dem Wert des Objekts ohne und mit diesen Nachteilen.
- Ertragswertverfahren: Insbesondere bei renditeorientierten Immobilien wird der merkantile Minderwert in Form eines reduzierten Ertragsansatzes berücksichtigt. Hier wird der potenzielle Ertrag, den die Immobilie erwirtschaften könnte, aufgrund der Nachteile vermindert.
- Sachwertverfahren: Hier wird der merkantile Minderwert als ein Zuschlag auf den Substanzwert oder als Abzug davon berücksichtigt, je nachdem, wie stark die äußeren Faktoren den Wert der Immobilie beeinflussen.
- Marktforschung: Gutachter müssen die Marktsituation und die Nachfrage nach Immobilien in der Region sowie die Auswirkungen von Faktoren wie Lärm, Verschmutzung oder Infrastrukturproblemen berücksichtigen.
Allgemein gesprochen wird also versucht, den merkantilen Minderwert mittels der sog. „Differenzmethode“ zu ermitteln: Es wird dabei der Wert der Immobilie vor der Beschädigung mit jenem nach der Reparatur (dazu später noch mehr) verglichen.
Welche Faktoren beeinflussen den merkantilen Minderwert?
Nach einer Mängelbehebung können nicht alle Einflüsse auf die Nutzbarkeit, Funktionsfähigkeit, die Lebensdauer, usw. festgestellt und damit sämtliche Bedenken und Ängste des Käuferkreises zweifelsfrei ausgeräumt werden.
Der merkantile Minderwert drückt eine fachlich unbegründete Befürchtung der Käuferschicht aus, dass die Ursache für den Minderwert erneut auftreten könnte, oder neben dem bereits behobenen Schaden sonst auch irgendwo noch ein anderer Mangel an der Immobilie hervortritt.
Folgende Faktoren beeinflussen das Vorliegen bzw. die Höhe des merkantilen Minderwerts:
- Art des Schadens: Es gibt in der Praxis größere Vorbehalte gegen Schäden an der Statik eines Gebäudes als gegenüber bloßen Substanzschäden (zB durch einen Wasserrohrbruch).
- Höhe der Schadenbehebungskosten: Der Schaden bzw. die Art der Schadensbeseitigung muss erheblich in die Bausubstanz eingegriffen haben. Bagatellreparaturen führen zu keinem merkantilen Minderwert.
- Grad des Gefährdungspotentials: Es geht dabei um die Frage, wie hoch die Wahrscheinlichkeit des Schadenswiedereintritts ist und die aufgewendeten Behebungskosten daher erneut entstehen könnten. Könnten evtl. auch noch andere Bauteile betroffen sein, weil bei der Errichtung mehrfach „gepfuscht“ wurde?
- Faktor Zeit: Wie viel Zeit ist seit der Schadensbehebung verstrichen? Erfahrungen der Gegenwart oder der nahen Vergangenheit sind bei der Käuferschicht präsenter. Die Befürchtung, dass ein Schaden wieder neu aufleben könnte, oder trotz allem noch ein verborgener Schaden vorliegt, nimmt mit der Zeit ab.
- Situation am Immobilienmarkt: Die Nachfragesituation am Immobilienmarkt kann den merkantilen Minderwert auch beeinflussen. Für Immobilien, für welche am Markt ein Überangebot besteht, wird der merkantile Minderwert höher ausfallen.
Kleine “Stolperfalle” in der Immobilienbewertung
In der Immobilienbewertung ist der merkantile Minderwert besonders relevant, da er eine wichtige Rolle bei der realistischen Einschätzung des Marktwerts einer Immobilie spielt. Immobiliengutachter und Sachverständige müssen diesen Minderwert in ihre Bewertungen einfließen lassen, um den tatsächlichen Wert der Immobilie korrekt abzubilden. Ohne die Berücksichtigung des merkantilen Minderwerts könnte der Wert einer Immobilie überschätzt werden, was sowohl für Käufer als auch Verkäufer nachteilig sein könnte.
Für Käufer bedeutet die Berücksichtigung des merkantilen Minderwerts, dass sie nicht zu viel für ein Objekt bezahlen, das in Zukunft möglicherweise nicht die erwarteten Erträge oder die gewünschte Wertsteigerung bieten wird. Verkäufer wiederum müssen sicherstellen, dass der Wertverlust durch unattraktive Standortfaktoren oder rechtliche Hindernisse in ihrer Preisgestaltung reflektiert wird.
Wer muss das Vorliegen beweisen?
Da der Geschädigte beim Schadenersatzanspruch grundsätzlich die Beweislast für alle Haftungsvoraussetzungen und damit auch für die Schadenshöhe trägt, gilt dies auch für das Vorliegen eines merkantilen Minderwerts.
Eine tatsächlich durchgeführte Reparatur ist (zumindest in Österreich) keine Voraussetzung für die Ersatzfähigkeit deines etwaigen merkantilen Minderwerts. Der Geschädigte kann daher unabhängig von einer (notwendigen?) Reparatur den Ersatz des merkantilen Minderwerts fordern.
Nach der Judikatur des OGH muss auch kein konkretes Verkaufsinteresse des Geschädigten bestehen, um einen Ersatzanspruch geltend zu machen (7 Ob 187/18b).
Fazit
Nicht jeder einmal vorhanden gewesene Schaden löst automatisch einen merkantilen Minderwert aus und sind dabei die Umstände des Einzelfalles (Art des Schadens, Kosten, Zeitraum, usw.) und das Marktumfeld (zB Käufermarkt?) genau zu betrachten.
Die Schwierigkeit in der Bewertung liegt darin, einen irrationalen, psychologischen Wert mit nachvollziehbaren Mitteln zu beschreiben und vor allem nachvollziehbar monetär zu bewertet. Dies stellt in der Praxis die Sachverständigen vor gewisse Herausforderungen.
Rückfragen an: Dr. Daniel Köll, MSc unter www.immobilien-praxis-köll.at